… denn der Krieg ist aus! Endlich hören die Fabriken zur Jahreswende 1918/1919 damit auf, nur noch Uniformen und Kanonen für die Front zu produzieren. Gleichzeitig kommen Millionen Soldaten von der Front zurück und wollen nun wieder Arbeit finden. Die Chancen dazu sind im Rheinland und Westfalen vergleichsweise gut. Neben weltweit agierenden Großkonzernen der Textil- und Stahlindustrie gibt es im Westen unzählige mittelständische Handwerksbetriebe. Gerade in Westfalen schaffen einige von ihnen während der Weimarer Republik den Aufstieg zur Weltmarke.
Fast ein wenig verloren in der gigantischen Industriekulisse wirkt dieser Arbeiter in einem Dortmunder Stahlwerk, der den Abtransport der Schlacken beobachtet. Der Arbeiterdichter Erich Grisar beschreibt die Fabriken des Ruhrgebiets in dieser Zeit als menschenfressende Tiermonster:
"Hingeduckt wie ein Tier,
Das sein Opfer belauert, / Liegt die Fabrik, / Und tatzt mit Riesenfängen in den Himmel, /
den sie zerfetzt, / Um mit der Glut der Sterne / Ihre Öfen zu beflammen. / Die aber glotzen wie Augen der Hölle. / Und ein Maul hat das Untier, Riesengroß. / Das frißt und schlingt / Dreimal im Tag:
Menschen, / Unersättlich Menschen / Und speit aus, /
Dreimal im Tag: / Zermürbte Wesen…"
Während die Arbeit auf den Zechen und in den Stahlwerken Männern vorbehalten ist, bietet die Nahrungsmittelindustrie traditionell eher Frauen diese Leichtlohn-Arbeitsplätze an. Häufig sind es eintönige Abläufe und Handgriffe, die die Frauen an den Maschinen auszuführen haben. So wirken diese Arbeiterinnen in der Abfüllanlage der Firma Dr. Oetker wie austauschbare Statistinnen.
Apropos Dr. Oetker: Das 1891 vom Bielefelder Apotheker August Oetker (1862-1918) gegründete Unternehmen steigt in der Weimarer Republik zum Großunternehmen auf. Anfang des Jahrhunderts hat der Firmenpatriarch mit Backpulver den Grundstein für den späteren Großkonzern gelegt. Eine ausgefeilte Werbestrategie verhilft Dr. Oetker nun rasch zum Durchbruch.
Backrezepte auf der Packung: Mit diesem einfachen, aber genialen Marketing wird Dr. Oetker zum Marktführer. Schon bald kommen Puddingpulver, Aromen und Speisestärke zum Sortiment hinzu. Um die Bindung der Kund_innen an die Marke zu stärken, bleibt die Firma innovativ. In Koch- und Backkursen für angehende Hausfrauen, wie hier im Jahr 1920, nimmt man selbstverständlich nur Produkte aus Bielefeld.
… zumindest wenn man in den Genuss der neuartigen Haushaltsgeräte kommt, die in der Weimarer Republik unters Volk gebracht werden. 1927 entwickelt das Gütersloher Unternehmen Miele die ersten kohle- und gasbefeuerten Trommelwaschmaschinen. Mit ihrem großen Fassungsvermögen sind sie aber zunächst weniger für Privathaushalte gedacht, sondern vielmehr für Hotels und Restaurants.
1899 gegründet, entwickelt sich Miele vor dem Krieg zur "größten Spezialfabrik Deutschlands für Milchzentrifugen, Buttermaschinen, Wasch-, Wring- und Mangelmaschinen". In den Weimarer Jahren kommen unter anderem Staubsauger und Geschirrspülmaschinen hinzu, seit 1924 werden im hier abgebildeten Werk in Bielefeld auch Fahrräder hergestellt.
Und noch ein Weltmarktriese aus der westfälischen Provinz: Das Unternehmen Claas aus Harsewinkel entsteht 1913 und steigt in den 1920er Jahren zum gefragten Lieferanten für Landmaschinen auf. Erster Verkaufsschlager ist jedoch dieses unscheinbare Werkzeug, das zum Binden von Stroh dient. Den Mangel an brauchbarem Bindegarn nutzen die Firmengründer 1921 mit der Erfindung des Knoterapparats. Zwei Jahre später wird er als "begrenzt schwenkbare Oberlippe" zum Patent angemeldet.
…eines Gefährts der Marke AWD-Motorradmanufaktur in Ratingen-Breitscheid. Der Zweiradpionier August Wurring baut seit 1921 in seinem kleinen Handwerksbetrieb Krafträder der Marke AWD (August Wurring Düsseldorf). Die in geringen Stückzahlen produzierten Motorräder stehen schon bald für hohe Qualität und gehen auf individuelle Wünsche der Kund_innen ein.
Im traditionellen Handwerk spielt der Bezug zum hergestellten Produkt im Vergleich zur Industriearbeit eine noch bedeutende Rolle: Die Herstellung - etwa eines Holzschuhs wie hier in einer Manufaktur um 1930 - wird von den Arbeiter_innen von Anfang bis Ende begleitet.