Wer an die Weimarer Republik denkt, denkt meist zuallererst an Berlin. Doch im Windschatten der Weltmetropole entwickeln sich nach 1919 auch die Großstädte im Westen zu Epizentren der Moderne und des Fortschritts. Im Rheinland sind es die alten Rivalen Köln und Düsseldorf (im Bild), in Westfalen vor allem Bochum und Dortmund, die den Takt vorgeben. Besonderen Einfluss haben in den Jahren der Zwischenkriegszeit die Oberbürgermeister, die ihre große Machtfülle nutzen, um die Städte zu prägen.
19. Jahrhundert trifft 20. Jahrhundert: Wie aus der Zeit gefallen wirkt das sich selbst überlassene Fachwerkhaus in Bochum um 1928. Übermächtig drängt sich im Hintergrund der moderne Neubau der Kommunalbank in den Mittelpunkt. Klare Linien und nüchterne Eleganz zeigen den Einfluss von Bauhaus und Neuer Sachlichkeit.
Etwas verloren wartet das robuste Zugpferd am eingeschneiten Dortmunder Hardenberghafen auf seinen Fuhrmann. Gerade im ländlich geprägten Westfalen treffen Relikte der alten Zeit noch häufig unvermittelt auf Kulissen der industriellen Moderne.
Die westfälische Metropole Dortmund präsentiert sich in der Weimarer Republik als eine selbstbewusste Großstadt am Puls der Zeit. Für die moderne städtische Architektur steht zum Beispiel das 1924 errichtete Gebäude der Stadtsparkasse im Stil des Art déco, das später Sitz des Museums für Kunst und Kulturgeschichte wird.
Adenauer (hier vor einer Planungskarte für den Kölner Grüngürtel) weiß sich schon früh als moderner Macher zu inszenieren. Gleichzeitig steht er bei seinen Mitarbeitern aber auch wegen seines vordemokratisch-autokratischen Führungsstils in der Kritik. Ein liberaler Stadtverordneter wirft ihm 1928 vor, er habe in Köln mehr zu sagen als zuvor der König von Preußen oder der deutsche Kaiser.
Die Oberbürgermeister der Großstädte an Rhein und Ruhr setzen in der Weimarer Zeit Maßstäbe in den Bereichen Architektur, Infrastruktur und Großevents. In einer Zeit ständig wechselnder Regierungen sind sie die Stabilitätsanker vor Ort. Die Oberbürgermeister Robert Lehr (Düsseldorf), Paul Hartmann (Wuppertal), Karl Jarres (Duisburg), Hans Luther (Essen) und Konrad Adenauer (Köln) prägen das Gesicht ihrer Städte bis heute. Große Ambitionen verfolgen die Stadtväter auch in eigener Sache: Karl Jarres kandidiert 1925 für das Reichspräsidentenamt, Hans Luther amtiert 1925/26 als Reichskanzler. Konrad Adenauers Karriere erreicht hingegen erst nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Höhepunkt.
Auf der rechtsrheinischen Seite in Köln-Deutz entsteht ab 1924 ein riesiges Ensemble von Messe- und Veranstaltungshallen. Mit der Neugründung der Kölner Messe - hier die Frühjahrsmesse 1924 - will Köln an seine goldenen Zeiten als europäische Handelsmetropole im Mittelalter anknüpfen und dem fernen Berlin Konkurrenz machen.
Etwas rheinabwärts erkennt auch Düsseldorf die Chance, sich durch Großausstellungen ins rechte Licht zu rücken. 1926 präsentiert die Stadt die GeSoLei als Schau für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen. Ob die Abkürzung glücklich gewählt ist, die manche an eine "Eselei" erinnert, sei dahingestellt. Mit 7,5 Millionen Besucher_innen wird die Schau zu einem der Publikumsmagneten in der Weimarer Republik.
Begeistert warten Besucher_innen der GeSoLei auf die Abfahrt der Liliputbahn, eines exakten Nachbaus einer Schnellzuglokomotive der Deutschen Reichsbahn im Maßstab 1:5. Mit der Minilok geht es einmal quer durch die Wissenswelt der Ausstellung, die zum Ende zu einer Reise durch den menschlichen Blutkreislauf wird.
Sie begründet den bis heute bestehenden Ruf Kölns als Medienmetropole: die internationale Großausstellung PRESSA, die Köln 1928 beherbergt. Neueste Trends der Massenmedien werden hier präsentiert. Für solche Großevents wird das rechtsrheinische Ufer massiv umgestaltet: Unter Leitung von Stadtbaumeister Adolf Abel entstehen ab 1924 die bis heute existierenden Messehallen – anfangs im Volksmund wegen ihrer schlichten Hufeisenform als Adenauers Pferdeställe bezeichnet. 1928 folgt der bis heute weithin sichtbare, markante Messeturm.
Mit der PRESSA präsentiert sich Köln als weltoffene Metropole, die ein internationales Großereignis auszurichten vermag. Als regelrechte "Weltausstellung" zum Thema Medien wird sie auch beim einstigen Kriegsgegner Frankreich mit Plakaten beworben. 1.500 Aussteller_innen aus 43 Nationen und mehr als fünf Millionen Besucher_innen strömen innerhalb von sechs Monaten in die Domstadt und machen die PRESSA zu einem vollen Erfolg.
Ein architektonisches Ausrufezeichen auf der PRESSA setzt auch die evangelische Kirche mit ihrem Pavillon. Mit der vom Bauhaus-Architekten Otto Bartning entworfenen "Stahlkirche" demonstriert die Kirche nachdrücklich, dass sie mit ihren Überzeugungen in der anbrechenden Moderne nicht zum alten Eisen gehören will. Auch bietet sich für die Protestanten hier die einmalige Möglichkeit, dem katholischen Dom auf der anderen Rheinseite ein Statement entgegenzusetzen.
Großausstellungen wie die PRESSA locken große Besuchermengen in die Großstädte. Millionen wollen untergebracht, versorgt und (möglichst gut) unterhalten werden. Anlässlich der PRESSA entsteht auch ein großer Vergnügungspark, der Teil der Ausstellung ist und in dem preiswerte Gastronomie angeboten wird. Wer auf diese Form der Massenabfertigung verzichten will, kann auf die Brauhäuser der Altstadt ausweichen.
Karusselle, Achterbahn und Zuckerwatte - alles was das Herz begehrt… Neue Vergnügungsstätten wie dieser Rummel in Dortmund entstehen überall im Land. Auf ihm verbringen viele die Stunden ihrer immer noch eng begrenzten Freizeit.