Nirgendwo sonst in Deutschland treffen Großstadt und Provinz so unvermittelt aufeinander wie im Westen. Stadt und Land müssen in den Weimarer Jahren mit der Zeit gehen, um nicht abgehängt zu werden. Das Rheinland und Westfalen beschreiten dabei ihre jeweils eigenen Wege.
Wer an die Weimarer Republik denkt, denkt meist zuallererst an Berlin. Doch im Windschatten der Weltmetropole entwickeln sich nach 1919 auch die Großstädte im Westen zu Epizentren der Moderne und des Fortschritts. Im Rheinland sind es die alten Rivalen Köln und Düsseldorf (im Bild), in Westfalen vor allem Bochum und Dortmund, die den Takt vorgeben. Besonderen Einfluss haben in den Jahren der Zwischenkriegszeit die Oberbürgermeister, die ihre große Machtfülle nutzen, um die Städte zu prägen.
19. Jahrhundert trifft 20. Jahrhundert: Wie aus der Zeit gefallen wirkt das sich selbst überlassene Fachwerkhaus in Bochum um 1928. Übermächtig drängt sich im Hintergrund der moderne Neubau der Kommunalbank in den Mittelpunkt. Klare Linien und nüchterne Eleganz zeigen den Einfluss von Bauhaus und Neuer Sachlichkeit.
Etwas verloren wartet das robuste Zugpferd am eingeschneiten Dortmunder Hardenberghafen auf seinen Fuhrmann. Gerade im ländlich geprägten Westfalen treffen Relikte der alten Zeit noch häufig unvermittelt auf Kulissen der industriellen Moderne.
Die westfälische Metropole Dortmund präsentiert sich in der Weimarer Republik als eine selbstbewusste Großstadt am Puls der Zeit. Für die moderne städtische Architektur steht zum Beispiel das 1924 errichtete Gebäude der Stadtsparkasse im Stil des Art déco, das später Sitz des Museums für Kunst und Kulturgeschichte wird.
Adenauer (hier vor einer Planungskarte für den Kölner Grüngürtel) weiß sich schon früh als moderner Macher zu inszenieren. Gleichzeitig steht er bei seinen Mitarbeitern aber auch wegen seines vordemokratisch-autokratischen Führungsstils in der Kritik. Ein liberaler Stadtverordneter wirft ihm 1928 vor, er habe in Köln mehr zu sagen als zuvor der König von Preußen oder der deutsche Kaiser.
Die Oberbürgermeister der Großstädte an Rhein und Ruhr setzen in der Weimarer Zeit Maßstäbe in den Bereichen Architektur, Infrastruktur und Großevents. In einer Zeit ständig wechselnder Regierungen sind sie die Stabilitätsanker vor Ort. Die Oberbürgermeister Robert Lehr (Düsseldorf), Paul Hartmann (Wuppertal), Karl Jarres (Duisburg), Hans Luther (Essen) und Konrad Adenauer (Köln) prägen das Gesicht ihrer Städte bis heute. Große Ambitionen verfolgen die Stadtväter auch in eigener Sache: Karl Jarres kandidiert 1925 für das Reichspräsidentenamt, Hans Luther amtiert 1925/26 als Reichskanzler. Konrad Adenauers Karriere erreicht hingegen erst nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Höhepunkt.
Auf der rechtsrheinischen Seite in Köln-Deutz entsteht ab 1924 ein riesiges Ensemble von Messe- und Veranstaltungshallen. Mit der Neugründung der Kölner Messe - hier die Frühjahrsmesse 1924 - will Köln an seine goldenen Zeiten als europäische Handelsmetropole im Mittelalter anknüpfen und dem fernen Berlin Konkurrenz machen.
Etwas rheinabwärts erkennt auch Düsseldorf die Chance, sich durch Großausstellungen ins rechte Licht zu rücken. 1926 präsentiert die Stadt die GeSoLei als Schau für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen. Ob die Abkürzung glücklich gewählt ist, die manche an eine "Eselei" erinnert, sei dahingestellt. Mit 7,5 Millionen Besucher_innen wird die Schau zu einem der Publikumsmagneten in der Weimarer Republik.
Begeistert warten Besucher_innen der GeSoLei auf die Abfahrt der Liliputbahn, eines exakten Nachbaus einer Schnellzuglokomotive der Deutschen Reichsbahn im Maßstab 1:5. Mit der Minilok geht es einmal quer durch die Wissenswelt der Ausstellung, die zum Ende zu einer Reise durch den menschlichen Blutkreislauf wird.
Sie begründet den bis heute bestehenden Ruf Kölns als Medienmetropole: die internationale Großausstellung PRESSA, die Köln 1928 beherbergt. Neueste Trends der Massenmedien werden hier präsentiert. Für solche Großevents wird das rechtsrheinische Ufer massiv umgestaltet: Unter Leitung von Stadtbaumeister Adolf Abel entstehen ab 1924 die bis heute existierenden Messehallen – anfangs im Volksmund wegen ihrer schlichten Hufeisenform als Adenauers Pferdeställe bezeichnet. 1928 folgt der bis heute weithin sichtbare, markante Messeturm.
Mit der PRESSA präsentiert sich Köln als weltoffene Metropole, die ein internationales Großereignis auszurichten vermag. Als regelrechte "Weltausstellung" zum Thema Medien wird sie auch beim einstigen Kriegsgegner Frankreich mit Plakaten beworben. 1.500 Aussteller_innen aus 43 Nationen und mehr als fünf Millionen Besucher_innen strömen innerhalb von sechs Monaten in die Domstadt und machen die PRESSA zu einem vollen Erfolg.
Ein architektonisches Ausrufezeichen auf der PRESSA setzt auch die evangelische Kirche mit ihrem Pavillon. Mit der vom Bauhaus-Architekten Otto Bartning entworfenen "Stahlkirche" demonstriert die Kirche nachdrücklich, dass sie mit ihren Überzeugungen in der anbrechenden Moderne nicht zum alten Eisen gehören will. Auch bietet sich für die Protestanten hier die einmalige Möglichkeit, dem katholischen Dom auf der anderen Rheinseite ein Statement entgegenzusetzen.
Großausstellungen wie die PRESSA locken große Besuchermengen in die Großstädte. Millionen wollen untergebracht, versorgt und (möglichst gut) unterhalten werden. Anlässlich der PRESSA entsteht auch ein großer Vergnügungspark, der Teil der Ausstellung ist und in dem preiswerte Gastronomie angeboten wird. Wer auf diese Form der Massenabfertigung verzichten will, kann auf die Brauhäuser der Altstadt ausweichen.
Karusselle, Achterbahn und Zuckerwatte - alles was das Herz begehrt… Neue Vergnügungsstätten wie dieser Rummel in Dortmund entstehen überall im Land. Auf ihm verbringen viele die Stunden ihrer immer noch eng begrenzten Freizeit.
Im Zeitalter der rauchenden Schlote und Fabriken wirkt dieser westfälische Bauer aus Westbevern, obgleich im Jahre 1925 aufgenommen, wie aus einem anderen Jahrhundert. Gleichwohl hält auch in der Landwirtschaft während der Weimarer Republik der Fortschritt machtvoll Einzug. Und selbst während der schweren Wirtschaftskrisen in den 1920er Jahren kann sich der Agrarsektor insbesondere in Westfalen und im Rheinland als robuster Wirtschaftszweig behaupten. Auf der anderen Seite wird das Landleben trotz seiner Entbehrungen von Traditionalisten nun verklärt und so zum idyllischen Sehnsuchtsort vieler kulturkritischer Städter_innen.
Repräsentative Gemütlichkeit strahlt dieses Bild einer bäuerlichen Wohndiele aus, aufgenommen im Jahr 1920 im Berkenhof bei Echtrop. Ob diese Szenerie tatsächlich den realen Wohnverhältnissen zu der Zeit entspricht, ist jedoch fraglich. Wahrscheinlich handelt es sich eher um eine Inszenierung bäuerlichen Lebens.
Real hingegen ist dieses Bild: Ihre Pause redlich verdient hat sich eine Familie von Hof Mausthal in Nephten (Kreis Siegen-Wittgenstein). Während der Ernte ist in der Regel die gesamte Familie in die landwirtschaftliche Arbeit eingebunden. Auch Kinder sind während der Sommerferien voll eingespannt, wenn die Ernte schnell eingeholt werden muss. Erholung gibt es zwischendurch bei gemeinsamen Pausen mit den Erntehelfer_innen.
Noch in den 1930er Jahren pflügt manch ein Bauer seine Felder mit dem Ochs oder – wie hier – mit dem Pferd. Die Motorisierung der Landwirtschaft hält nur langsam Einzug und nicht jeder kann oder will sich die teuren Maschinen leisten.
Dennoch sieht man auch immer häufiger Traktoren im Einsatz, wie bei diesem Bauern, der gerade sein Feld umpflügt. Um die hohen Anschaffungskosten für die Maschinen auftreiben zu können, schließen sich Bauern zu Genossenschaften zusammen, die die Fahrzeuge gemeinsam nutzen.
Dennoch: Trotz aller Technik ist mühsame Handarbeit immer noch weit verbreitet. Zwei Feldarbeiterinnen bei der Kartoffelernte in Dortmund-Derne sammeln die Knollen in wenig bequemer Haltung ein. Am Horizont grüßen derweil die Insignien der neuen Zeit: die Schlote und Fördertürme einer Zeche.
Typisch für Westfalen ist die unmittelbare Nachbarschaft von ländlicher Lebenswelt und Monumenten des Industriezeitalters. Ein Schäfer mit seiner Herde blickt 1930 auf die Abraumhalden einer Zeche in Dortmund-Schüren. Ob sich die Tiere angesichts der rußigen Luft mit der Zeit in schwarze Schafe verwandelt haben, ist nicht überliefert…
Etwas störrisch zeigt sich diese Ziege vor der Industriekulisse Dortmunds. Kein Wunder, da sie von dem Mädchen doch gerade angepflockt wird. Viele Bergarbeiterfamilien halten in den 1920er Jahren zu Hause Nutztiere, um sich selbst mit Milch und Fleisch zu versorgen.
… denn der Krieg ist aus! Endlich hören die Fabriken zur Jahreswende 1918/1919 damit auf, nur noch Uniformen und Kanonen für die Front zu produzieren. Gleichzeitig kommen Millionen Soldaten von der Front zurück und wollen nun wieder Arbeit finden. Die Chancen dazu sind im Rheinland und Westfalen vergleichsweise gut. Neben weltweit agierenden Großkonzernen der Textil- und Stahlindustrie gibt es im Westen unzählige mittelständische Handwerksbetriebe. Gerade in Westfalen schaffen einige von ihnen während der Weimarer Republik den Aufstieg zur Weltmarke.
Fast ein wenig verloren in der gigantischen Industriekulisse wirkt dieser Arbeiter in einem Dortmunder Stahlwerk, der den Abtransport der Schlacken beobachtet. Der Arbeiterdichter Erich Grisar beschreibt die Fabriken des Ruhrgebiets in dieser Zeit als menschenfressende Tiermonster:
"Hingeduckt wie ein Tier,
Das sein Opfer belauert, / Liegt die Fabrik, / Und tatzt mit Riesenfängen in den Himmel, /
den sie zerfetzt, / Um mit der Glut der Sterne / Ihre Öfen zu beflammen. / Die aber glotzen wie Augen der Hölle. / Und ein Maul hat das Untier, Riesengroß. / Das frißt und schlingt / Dreimal im Tag:
Menschen, / Unersättlich Menschen / Und speit aus, /
Dreimal im Tag: / Zermürbte Wesen…"
Während die Arbeit auf den Zechen und in den Stahlwerken Männern vorbehalten ist, bietet die Nahrungsmittelindustrie traditionell eher Frauen diese Leichtlohn-Arbeitsplätze an. Häufig sind es eintönige Abläufe und Handgriffe, die die Frauen an den Maschinen auszuführen haben. So wirken diese Arbeiterinnen in der Abfüllanlage der Firma Dr. Oetker wie austauschbare Statistinnen.
Apropos Dr. Oetker: Das 1891 vom Bielefelder Apotheker August Oetker (1862-1918) gegründete Unternehmen steigt in der Weimarer Republik zum Großunternehmen auf. Anfang des Jahrhunderts hat der Firmenpatriarch mit Backpulver den Grundstein für den späteren Großkonzern gelegt. Eine ausgefeilte Werbestrategie verhilft Dr. Oetker nun rasch zum Durchbruch.
Backrezepte auf der Packung: Mit diesem einfachen, aber genialen Marketing wird Dr. Oetker zum Marktführer. Schon bald kommen Puddingpulver, Aromen und Speisestärke zum Sortiment hinzu. Um die Bindung der Kund_innen an die Marke zu stärken, bleibt die Firma innovativ. In Koch- und Backkursen für angehende Hausfrauen, wie hier im Jahr 1920, nimmt man selbstverständlich nur Produkte aus Bielefeld.
… zumindest wenn man in den Genuss der neuartigen Haushaltsgeräte kommt, die in der Weimarer Republik unters Volk gebracht werden. 1927 entwickelt das Gütersloher Unternehmen Miele die ersten kohle- und gasbefeuerten Trommelwaschmaschinen. Mit ihrem großen Fassungsvermögen sind sie aber zunächst weniger für Privathaushalte gedacht, sondern vielmehr für Hotels und Restaurants.
1899 gegründet, entwickelt sich Miele vor dem Krieg zur "größten Spezialfabrik Deutschlands für Milchzentrifugen, Buttermaschinen, Wasch-, Wring- und Mangelmaschinen". In den Weimarer Jahren kommen unter anderem Staubsauger und Geschirrspülmaschinen hinzu, seit 1924 werden im hier abgebildeten Werk in Bielefeld auch Fahrräder hergestellt.
Und noch ein Weltmarktriese aus der westfälischen Provinz: Das Unternehmen Claas aus Harsewinkel entsteht 1913 und steigt in den 1920er Jahren zum gefragten Lieferanten für Landmaschinen auf. Erster Verkaufsschlager ist jedoch dieses unscheinbare Werkzeug, das zum Binden von Stroh dient. Den Mangel an brauchbarem Bindegarn nutzen die Firmengründer 1921 mit der Erfindung des Knoterapparats. Zwei Jahre später wird er als "begrenzt schwenkbare Oberlippe" zum Patent angemeldet.
…eines Gefährts der Marke AWD-Motorradmanufaktur in Ratingen-Breitscheid. Der Zweiradpionier August Wurring baut seit 1921 in seinem kleinen Handwerksbetrieb Krafträder der Marke AWD (August Wurring Düsseldorf). Die in geringen Stückzahlen produzierten Motorräder stehen schon bald für hohe Qualität und gehen auf individuelle Wünsche der Kund_innen ein.
Im traditionellen Handwerk spielt der Bezug zum hergestellten Produkt im Vergleich zur Industriearbeit eine noch bedeutende Rolle: Die Herstellung - etwa eines Holzschuhs wie hier in einer Manufaktur um 1930 - wird von den Arbeiter_innen von Anfang bis Ende begleitet.
…aber nicht für den Krieg, sondern für den flächendeckenden Verkehr und die Versorgung mit Energie. Vor dem Ersten Weltkrieg hat Kaiser Wilhelm II. noch prophezeit, dass das Auto eine "vorübergehende Erscheinung" sei und die Zukunft allein dem Pferd gehöre. Was für eine Fehleinschätzung: Im ganzen Land entstehen nun Straßen, Schienen und Kanäle, um dem zunehmenden Verkehr Herr zu werden. Gleichzeitig wird das Stromnetz ausgebaut, sodass nun fast alle Haushalte Elektrizität beziehen. Gerade im Ruhrgebiet und in der Rheinschiene mit ihrer geballten Industrie geht der Ausbau der Infrastruktur rasant voran.
Wie Ameisen wirken die Arbeiter, die Mitte der 1920er Jahre den Strommast einer Hochspannungsleitung errichten. Im ganzen Reich entstehen diese Verbindungstrassen, um den Kohlestrom von Rhein und Ruhr mit dem Strom aus Wasserkraft im Süden austauschen zu können. Ganz vorne in der Entwicklung mit dabei ist das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk (RWE). Der Großkonzern teilt den Markt 1927 im sogenannten Elektrofrieden mit seinen Konkurrenten und beherrscht seitdem die Stromerzeugung im Westen.
Wie ein riesiger Industriemoloch erscheint das bereits 1914 errichtete Goldenberg-Werk in Hürth bei Köln, nach dem Ersten Weltkrieg das größte Braunkohlekraftwerk Europas. "Zwölf Apostel" nennen die Einheimischen die gigantischen, jeweils über 100 Meter hohen Schornsteine. Während der Weimarer Republik beginnt die heute höchst umstrittene Braunkohleförderung in der Region in großem Stil. Nicht erst der Tagebau Hambach lässt ganze Gemeinden und Landschaften verschwinden.
Geboren in Mülheim an der Ruhr, wird Hugo Stinnes (1870-1924) in den Wirren der Nachkriegsjahre zu einem der erfolgreichsten und einflussreichsten Unternehmer der frühen Weimarer Republik. Sein gewaltiger Mischkonzern, Aufsichtsratsposten und Beteiligungen an zahlreichen Firmen machen ihn zur grauen Eminenz. 1920 zieht er für die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP) in den Reichstag ein, wo er für Linke und Rechte als "Kriegs- und Inflationsgewinnler" ein Feindbild verkörpert. Nach seinem frühen Tod 1924 zerfällt sein einstiges Firmenimperium in seine Einzelteile.
1922 sind in Deutschland gerade einmal rund 80.000 PKWs auf den Straßen unterwegs - nicht mehr als vor dem Krieg. Bis zum Ende der Republik vervielfacht sich deren Zahl auf rund 500.000, hinzu kommen 150.000 LKWs und 800.000 Motorräder. Um verstopften Straßen vorzubeugen, baut der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR) daher ab 1926 eine dreispurige Schnellstraße zwischen Dortmund und Duisburg. Vorbild ist die mittelalterliche Handelsstraße Hellweg, auf deren Route die Trasse verläuft. Staugeplagte Autofahrer_innen im Westen kennen sie heute besser als Ruhrschnellweg oder einfach A 40.
Hartnäckig hält sich bis heute die Legende, Hitler und die Nationalsozialisten hätten die Autobahnen "erfunden" und erstmals bauen lassen. Doch weit gefehlt: Die ersten Fernstraßen entstehen bereits während der Weimarer Republik. 1924 sind es aber die Italiener, die mit der Autostrada dei Laghi zwischen Mailand und Varese die erste Autobahn der Welt bauen. Deutschlands erstes Teilstück folgt 1932 mit der Verbindung zwischen Köln und Bonn (heute A 555, hier die Anschlussstelle Wesseling). Noch sind die Autobahnen gähnend leer, doch Pläne für weit größere Projekte liegen schon in den Schubladen…
1920 ist auch bei der Eisenbahn Schluss mit der Kleinstaaterei: Die acht Staatsbahnen des alten Kaiserreichs schließen sich zur Reichsbahn zusammen. Bei den Fahrkarten bleibt die Klassengesellschaft jedoch weiterhin intakt: Erst 1928 wird die häufig als Holzklasse titulierte vierte Klasse abgeschafft. Die schnellen Vorzeigestrecken laufen damals von West nach Ost. Im Jahr 1930, als dieses Foto im Kölner Hauptbahnhof aufgenommen wird, entsteht gerade zwischen Hamburg und Berlin die damals mit bis zu 160 km/h befahrbare schnellste Bahnverbindung der Welt.
Diesen Anblick will sich im Dezember 1923 niemand entgehen lassen, wie die zahlreichen Schaulustigen im Hintergrund beweisen. Ein Güterzug hat in Dortmund-Eving einen Prellbock überfahren und ist entgleist. Während der Ruhrbesetzung kontrollieren die alliierten Mächte Frankreich und Belgien den Eisenbahnbetrieb. Inszenierte Unfälle und Zusammenstöße durch Sabotageakte sind an der Tagesordnung.
Beim Verkehrsmittel Straßenbahn läuft während der Weimarer Republik nicht alles rund. Zwar nutzen gerade in den Industriestädten an Rhein und Ruhr (wie hier in Oberhausen) viele die Tram, um zur Arbeit zu pendeln. Doch der Ausbau der Trassen endet in der Regel an der Stadtgrenze - eine Ausweitung oder gar ein Verbund der Streckennetze scheitert meist am Kirchturmdenken der Kommunalpolitik. Eine Ausnahme ist das Netz der bis heute bestehenden Bochum-Gelsenkirchener-Straßenbahn (Bogestra), das den Bereich zwischen Dortmund und Essen abdeckt.
…schon damals eine unendliche Geschichte. Mitte der 20er Jahre entwickeln die Kommunen an Rhein und Ruhr ein ehrgeiziges Projekt für eine Rheinisch-Westfälische Schnellbahn (RWS), die die wichtigsten Großstädte zwischen Dortmund und Köln miteinander verbinden soll. Als südlichen Endpunkt plant die Domstadt einen futuristischen Untergrundbahnhof, mit dem die RWS an den Hauptbahnhof angebunden werden soll. Das ehrgeizige Projekt gerät während der Krisenjahre in Vergessenheit und wird 1938 endgültig begraben.
Nicht nur als deutscher Schicksalsfluss, sondern auch als Verkehrsachse hat der Rhein eine große Bedeutung. Zwei Drittel aller Schiffe im Reich verkehren auf dieser Wasserstraße zwischen Basel und Kleve. Kein Wunder also, dass die alliierten Besatzungsmächte den Rhein und seine Schifffahrt unter dauernder Aufsicht halten wollen. Zwei Schiffe der Weißen Flotte am Bonner Rheinufer haben daher nicht aus Versehen die französische Trikolore geflaggt.
Besonders im Visier von Franzosen und Belgiern stehen Anfang der 1920er Jahre auch die Häfen von Duisburg-Ruhrort. Beide Häfen werden zu einem der größten Binnenhäfen in Europa zusammengelegt und 1924 in eine Aktiengesellschaft überführt. Mitte der 1920er Jahre stauen sich hier Schlepper und Lastkähne, um Kohle zu verschiffen. Zugute kommt Duisburgs Hafen, dass er hervorragend an das Eisenbahnnetz angeschlossen ist.
Noch ist die Dominanz des Frankfurter Flughafens nicht so erdrückend wie heute. Darum kann sich der Kölner Flughafen Butzweilerhof Ende der 1920er Jahre guten Gewissens als das "Drehkreuz des Westens" bezeichnen. Im April 1926 - gleich nach Abzug der britischen Besatzung - eröffnet die neu gegründete Lufthansa in Köln den planmäßigen Flugverkehr mit der Strecke Berlin-Köln-Paris. Zu diesem Zeitpunkt verbucht der "Butz" täglich bereits rund 24 Starts und Landungen.
Migration und Flucht - das vieldiskutierte Thema unserer Tage kennen die Menschen an Rhein und Ruhr schon lange. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wird das Ruhrgebiet zu einem Schmelztiegel für Arbeitsmigrant_innen aus halb Europa. Ihre Nachkommen arbeiten in der Weimarer Republik häufig im Bergbau. Aber auch in der Landwirtschaft des Westens sind zunehmend Migrant_innen tätig.
Der rasante wirtschaftliche Aufschwung im Ruhrgebiet zieht seit Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr Arbeitskräfte an. Um den Bedarf zu decken, werben Unternehmen sie häufig aus Polen und den preußischen Ostprovinzen an. Nicht zufällig sind noch heute viele Dombrowskis, Koslowskis oder Schimanskis in den Telefonbüchern zu finden. Doch anfangs werden die abschätzig als "Ruhrpolen" bezeichneten Neuankömmlinge häufig mit fremdenfeindlichen Vorurteilen konfrontiert. In eigenen Vereinen, wie hier der Polnischen Jugendvereinigung in Bochum 1922, schließen sie sich zusammen - nicht zuletzt, um sich ihrer Wurzeln zu vergewissern.
Schon in der Weimarer Republik ist Schalke 04 ein bunter Verein. Viele Zugewanderte kicken in den Reihen der Gelsenkirchener um Punkte und Pokale. Bis heute jedem Königsblauen ein Begriff: Der "Schalker Kreisel", dessen Dreh- und Angelpunkt Ernst Kuzorra (1905-1990) zusammen mit seinem Schwager Fritz Szepan (1907-1974) ist. Hier steigt Kuzorra, der Sohn eines masurischen Bergarbeiters, im Halbfinale der Westdeutschen Meisterschaft zum Kopfball hoch. Gegner an jenem 24. April 1932 in Duisburg ist der Meidericher SV, den die Schalker 5:1 besiegen. S04 holt später auch die Westdeutsche Meisterschaft, Deutscher Meister 1932 aber wird - zum allerersten Mal - der FC Bayern München.
Auf westfälischen Pferdemärkten, wie hier in Crange bei Herne, gehören in den 1920er Jahren Sinti und Roma seit Jahrzehnten als Verkäufer dazu. Dennoch lösen sie bei den Alteingesessenen neben einer Faszination für das "Exotische" vor allem Vorurteile und Ressentiments aus. Allein schon das fremdartige Aussehen, die unverständliche Sprache, vor allem aber die umherziehende Lebensweise machen sie in den Augen vieler Zeitgenoss_innen suspekt.
Nicht nur als nicht-deutsch angesehene "Fremde" wie "Zigeuner_innen" haben in den 1920er Jahren einen schweren Stand. Auch aus Deutschland stammende fahrende Händler wie dieser Korbverkäufer in Dortmund erscheinen den Einheimischen in Stadt und Land als Nicht- Dazugehörige, die es möglichst schnell abzuwimmeln gilt. Hausierer, Zirkusleute und umherziehende Handwerker haben einen ähnlich schlechten Leumund.