1919 herrscht Aufbruchsstimmung im Deutschen Reich: Erstmals dürfen alle Deutschen ab 20 Jahren über alle Klassen- und Geschlechtergrenzen hinweg an der Wahl zur Nationalversammlung teilnehmen. Bis 1933 werden die Deutschen noch acht weitere Male den Reichstag wählen. Mit großem Aufwand kämpfen die politischen Parteien um Stimmen - wie hier das Zentrum 1930 in Essen. Von Anfang an unterscheidet sich das Wahlverhalten der Menschen im Westen von dem im übrigen Deutschland: Die gemäßigten demokratischen Kräfte schneiden hierzulande deutlich besser ab. Dennoch haben auch an Rhein und Ruhr radikale Parteien spätestens seit 1932 viel Zulauf.
Mit Artikel 22 der Weimarer Verfassung wird das allgemeine, gleiche, unmittelbare und geheime Wahlrecht eingeführt. Erstmals erhalten nun auch Frauen das aktive und passive Wahlrecht. Das Mindestwahlalter wird von 25 auf 20 Jahre gesenkt. Alle erwachsenen Deutschen dürfen somit wählen gehen - vorausgesetzt sie haben einen Wohnsitz im Deutschen Reich.
Die Wahlkreise im Westen orientieren sich an den ehemaligen preußischen Regierungsbezirken, die weit über das heutige NRW hinausreichen: Die Rheinprovinz ist in vier Wahlkreise aufgeteilt: Köln-Aachen, Düsseldorf-Ost (u. a. mit Essen und Solingen) und Düsseldorf-West (u. a. mit Duisburg und Oberhausen) sowie Koblenz-Trier. Die Provinz Westfalen umfasst zwei Wahlkreise: Westfalen-Nord (u. a. mit Münster und Minden inklusive der Länder Lippe und Schaumburg-Lippe) sowie Westfalen-Süd (u. a. mit Arnsberg, Dortmund und Bochum).
Die Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 elektrisiert die Menschen - eine Welle der Mobilisierung geht durch das Land. Vor den Wahllokalen bilden sich lange Schlangen, 83 % der Wahlberechtigten geben ihre Stimme ab.
Mit einem Mal werden Frauen für die Parteistrategen interessant, schließlich sind 54 % aller Wahlberechtigten weiblich! Während Frauenverbände an die zukünftigen Wählerinnen appellieren, ihre neue Rolle als gleichberechtigte Staatsbürgerinnen selbstbewusst zu nutzen, verharrt die Parteiwerbung vielfach bei alten Vorstellungen. Wahlplakate der Deutschen Volkspartei (DVP) etwa wenden sich an Frauen meist in ihren traditionellen Rollen als "Hüterin des Heims", als Gattin, Hausfrau und Mutter.
Nicht nur die Sozialdemokratie, sondern auch das katholische Zentrum wirbt mit diesem Sehnsuchtsblick in die Zukunft für die Wahl zur Nationalversammlung. Die im Rheinland mit dem Zusatz "Christliche Volkspartei" auftretenden Katholik_innen verbinden damit jedoch nicht die Hoffnung auf eine klassenlose Gesellschaft, sondern beziehen sich in ihrem Plakat auf das Deutsche Reich, von dem kurz zuvor das Gebiet um Eupen und Malmédy an Belgien abgetreten werden musste. Ihre Hoffnung gilt einer friedvollen und geeinten belgisch-deutschen Grenzregion.
Die Wahl zur Nationalversammlung endet mit einer großen Überraschung: Zwar wird die SPD mit rund 38 % wie erwartet stärkste Kraft im Reich, sie bleibt aber deutlich hinter ihren Erwartungen zurück. In der Weimarer Nationalversammlung bildet die SPD eine Art Koalition mit dem Zentrum und der linksliberalen DDP, die daher den Namen Weimarer Koalition erhält. Im Westen dagegen liegt das Zentrum mit mehr als 40 % der Stimmen vorne. Nur in einigen Großstädten und Industriestandorten wie Essen und Düsseldorf setzen sich die sozialistischen Parteien durch.
Der Katholik aus dem Sauerland gilt als einer der einflussreichsten Sozialpolitiker des Kaiserreichs und der frühen Weimarer Republik. Als Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Universität Münster sitzt er schon seit 1884 für die Zentrumspartei im Reichstag. 1919 wird er in die Nationalversammlung gewählt und ist dort maßgeblich an der Ausarbeitung der Verfassungsartikel zur Sozial- und Schulpolitik beteiligt. Bis zu seinem Tod gehört er dem Reichstag an und verhilft unter anderem dem Betriebsrätegesetz zur Mehrheit.
Der katholische Geistliche und gebürtige Trierer wird für den Wahlbezirk Koblenz-Trier mit einem Stimmenanteil von 57,9 % in die Weimarer Nationalversammlung gewählt. Der Dozent am Trierer Priesterseminar ist erst im selben Jahr dem Zentrum beigetreten. In Weimar arbeitet er als Experte für Kirchenrecht im Verfassungsausschuss mit. Bis 1933 ist er durchgängiges Mitglied des Reichstages und von 1928 bis 1933 Vorsitzender des Zentrums. Unter seiner Führung rückt die Katholikenpartei deutlich nach rechts.
Der Journalist wird 1919 für den Bezirk Köln-Aachen in die Nationalversammlung gewählt und bleibt bis 1933 ununterbrochen Mitglied des Reichstags. Bereits 1903 tritt Sollmann in die SPD ein und engagiert sich in der Lebensreformbewegung.
1920 wird er Chefredakteur der "Rheinischen Zeitung". Zwei Jahre zuvor lenkte er gemeinsam mit Konrad Adenauer das Revolutionsgeschehen in Köln in geordnete Bahnen. Im August 1923 übernimmt er für vier Monate das Amt des Reichsinnenministers.
Die überzeugte Sozialdemokratin (rechts im Bild) wird 1919 als eine von insgesamt 41 Frauen (gegenüber 382 männlichen Abgeordneten) in die Nationalversammlung gewählt. Wie ihr Parteikollege Sollmann kandidierte sie im Bezirk Köln-Aachen. Zusammen mit ihrer älteren Schwester Marie Juchacz (links) arbeitete Röhl während des Ersten Weltkrieges in der Heimarbeitszentrale. In Weimar fordert Röhl die Gleichstellung unehelicher Mütter und Kinder mit Ehefrauen und ehelichen Kindern.
Bei der Reichstagswahl vom Juni 1920 erleidet die Weimarer Koalition aus SPD, Zentrum und DDP eine schwere Niederlage. Reichsweit büßt sie 40 % ihrer Mandate ein. Die SPD verliert vor allem in den Großstädten an Rhein und Ruhr Stimmen an die linke USPD. In Düsseldorf etwa votieren 36 % für die USPD, die SPD kommt nur auf 6,9 %. In katholischen Gebieten wie dem Landkreis Münster dominiert das Zentrum mit 85 % deutlich. Auch in Köln bleibt das Zentrum mit 35,9 % stärkste Kraft vor der SPD (26,3 %).
Selbstbewusst kommen diese drei weiblichen USPD-Abgeordneten im Januar 1920 zur Eröffnung des Reichstags nach Berlin. Neben der Sozialistin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin (Mitte) sieht man die Bochumerin Lore Agnes (links) und Mathilde Wurm. Noch gehört das Trio zu einer kleinen Minderheit: In der Nationalversammlung und den insgesamt acht Reichstagen bis 1933 finden sich während der Weimarer Republik durchschnittlich nur 6,5 % weibliche Abgeordnete.
Nach dem Tod Friedrich Eberts im Februar 1925 wird zum ersten Mal ein Reichspräsident durch Direktwahl vom Volk bestimmt. Der erste Wahlgang am 29. März 1925 bringt kein klares Ergebnis: Keiner der Kandidaten kommt auch nur in die Nähe der erforderlichen absoluten Mehrheit. Für den zweiten Wahlgang einigen sich die demokratischen Parteien auf den Kölner Zentrumspolitiker und ehemaligen Reichskanzler Wilhelm Marx (links). Die Rechtsparteien kontern mit der Kandidatur von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg. Dieser hat im ersten Durchgang noch gar nicht zur Wahl gestanden.
Hinter dem Zentrumskandidaten Marx - hier bei einer Wahlkundgebung im Berliner Sportpalast - versammeln sich die gemäßigten bürgerlichen Parteien und die Sozialdemokraten im sogenannten Volksblock. Die SPD zieht sogar ihren eigenen Bewerber zurück, um den Kompromisskandidaten zu stärken. Die Rechtsparteien verzichten ihrerseits auf ihren Kandidaten aus dem ersten Durchgang, den Duisburger Oberbürgermeister Karl Jarres. Er räumt trotz guter Ergebnisse seinen Platz für den bereits 78-jährigen Hindenburg.
Die Stichwahl am 26. April 1925 wird zur Richtungswahl zwischen zwei Lagern: Beide Kandidaten treten energisch im Wahlkampf auf, den ihre Parteibündnisse mit vollem Einsatz führen. Eine Flut von Wahlplakaten wirbt mit den Verdiensten, die Marx als bisheriger Reichskanzler für die Republik bereits erbracht hat: "Marx, der die Inflation bezwang, Hindenburg, der sie wiederbringt". Die hohe Wahlbeteiligung von 77,6 % (1. Wahlgang: 68,9 %) zeigt die starke Mobilisierungskraft des Wahlkampfes.
Die Stichwahl am 26. April 1925 wird zur Richtungswahl zwischen zwei Lagern: Beide Kandidaten treten energisch im Wahlkampf auf, den ihre Parteibündnisse mit vollem Einsatz führen. Eine Flut von Wahlplakaten wirbt mit den Verdiensten, die Marx als bisheriger Reichskanzler für die Republik bereits erbracht hat: "Marx der die Inflation bezwang, Hindenburg der sie wiederbringt". Die hohe Wahlbeteiligung von 77,6 % (1. Wahlgang: 68,9 %) zeigt die starke Mobilisierungskraft des Wahlkampfes.
Als Sieger der Schlacht bei Tannenberg 1914 über die russische Armee genießt Hindenburg den Nimbus alter Größe. Anhänger von Wilhelm Marx bringen hingegen Karikaturen in Umlauf, die das "wahre Gesicht" Hindenburgs aufdecken sollen. Hinter der Maske des "Helden von Tannenberg" vereint er hier das Großkapital, die nationalsozialistische Gefahr und die alten Eliten des Kaiserreichs.
In den protestantisch geprägten Gebieten des Westens ist Hindenburg als Verkörperung des alten Preußen populär. Hier nimmt die Wahlwerbung für Hindenburg fast religiöse Züge an, wie etwa auf einem Blatt des Landkreises Meisenheim, der als protestantische Exklave der Rheinprovinz angehört. Im April 1925 wird darin ein Lobgedicht auf Hindenburg veröffentlicht, in dem er als Retter gerühmt wird.
… so hätte Wilhelm Marx die Präsidentschaftswahl klar gewonnen! So aber entscheidet Hindenburg den zweiten Wahlgang mit nur 3 % Vorsprung (48,3 % gegenüber 45,3 %) für sich. Im Rheinland und in Westfalen hat man dagegen mit teilweise überwältigenden Mehrheiten für Wilhelm Marx gestimmt. In einigen Kreisen, wie etwa in Monschau oder Warendorf, gewinnt der Rheinländer Marx über 90 % der Stimmen. Hindenburg hingegen findet nur in einigen wenigen evangelisch-pietistisch geprägten Gebieten Zuspruch.
Die schwere Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit und soziales Elend begünstigen seit 1930 den Aufstieg der Republikfeinde von Links- und vor allem Rechtsaußen. Aggressiv machen sie Stimmung gegen die demokratische Verfassung und das vermeintlich undeutsche Parteiengezänk. Auch im Westen schlägt sich ihr Erfolg nieder: Bei der Reichstagswahl im Juli 1932 kann die NSDAP - hier einige ihrer Plakate auf einer Kölner Litfaßsäule - ihren Stimmenanteil verdoppeln. Als nun stärkste Partei stellt sie mit Hermann Göring erstmals sogar den Reichstagspräsidenten.
Nach dem triumphalen Ergebnis vom Juli ist der Ausgang der Reichstagswahl vom November 1932 für die NSDAP ernüchternd. Besonders im Westen bleibt die NSDAP wie schon bei vorangegangenen Wahlen weit unter dem reichsweiten Durchschnitt. In seinen katholischen Hochburgen bleibt das Zentrum hingegen stabil. Auf ihren Plakaten inszeniert sich die Partei als Beschützerin der Familie und Bollwerk gegen das drohende Chaos. Im Landkreis Münster stimmen überwältigende 70 % für das Zentrum, während die NSDAP dort nur 11,4 % erreicht.
Am 15. Januar 1933 - zwei Wochen vor der sogenannten Machtergreifung - wird die Landtagswahl in Lippe zum nationalen Ereignis. Die NSDAP nutzt die eigentlich kaum bedeutsame Wahl in dem Zwergstaat für eine beispiellose Propagandaschlacht. Hitler tritt in Lippe 17 Mal in elf Tagen auf - wie hier in Lemgo am 11. Januar. Tatsächlich geht die NSDAP aus der Wahl als mit Abstand stärkste Kraft hervor, was die Nationalsozialisten als Bestätigung ihres Aufwärtstrends werten. Danach kommt Hitler bis 1945 nur noch einmal nach Lippe.
1933 sichern die Nationalsozialisten ihre Macht im Reichstag endgültig ab. Bei der bestenfalls noch halbfreien Reichstagswahl im März 1933 erreicht die NSDAP zwar 43,9 % der Stimmen. Im Westen liegt die NSDAP mit durchschnittlich 34 % allerdings deutlich hinter dem reichsweiten Ergebnis. Das Zentrum kommt in Koblenz-Trier auf 40,9 %, in Köln-Aachen auf 35,9 %. Mit der Machtübernahme Hitlers - hier mit Gauleiter Grohé auf der Saarausstellung in der Kölner Messe - endet die freiheitliche Demokratie der Weimarer Republik.