Viel stärker noch als heute sind die Menschen zur Zeit der Weimarer Republik in ihrer sozialen und religiösen Herkunft verankert. Ob katholisch oder evangelisch, kommunistisch oder reaktionär, Kohlekumpel oder Beamter, Lehrerin oder Hausangestellte, Menschen in Städten oder auf dem Land - jedefrau und jedermann wird in ein spezielles soziales Milieu geboren, das den eigenen Lebensweg meist entscheidend beeinflusst. Weltanschauung, Wahlverhalten, Ausbildung und selbst die Partnerwahl orientieren sich häufig an deren Wertvorstellungen. Und jede dieser Milieukulturen bildet ihre eigenständigen Formen aus, die das Leben der Menschen von der Geburt bis zum Tod prägen.
Buchstäblich ein schweres Kreuz zu tragen hat dieser Jesus-Darsteller bei der Karfreitagsprozession im Städtchen Menden (Sauerland) im Jahr 1920. In aufwendigen Inszenierungen zelebrieren Katholik_innen an hohen Feiertagen wie Fronleichnam, Allerheiligen oder eben Karfreitag ihren Glauben. Wie es dem Kreuzträger nach den 14 Stationen seines Passionsweges ging, ist nicht überliefert, doch hatte er über Ostern wohl zumindest Rückenschmerzen.
Die Arme verschränkt, mit stolzgeschwellter Brust, den Torwart eingerahmt: So präsentiert sich die Jugendmannschaft aus Raesfeld (Münsterland) um 1930 dem Fotografen. Organisiert ist die Mannschaft im 1920 gegründeten katholischen Sportverband Deutsche Jugendkraft (DJK), einer Gegengründung zum sozialistischen Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB). Protestant_innen, Jüd_innen und Atheist_innen haben in dieser Elf keinen Platz.
Mächtig Gehör verschaffen sich während der 1920er Jahre auch die Protestant_innen. In Ostwestfalen und dem Siegerland entwickelt sich bereits seit dem 19. Jahrhundert die evangelische Gemeinschaft der "Erweckten". Ihr Ziel ist eine auf die Bibel bezogene Rückkehr zu den gelebten Wurzeln des christlichen Glaubens. Mit allzeit einsatzbereiten Posaunenchören wirbt die Erweckungsbewegung für ihre Veranstaltungen und begleitet diese musikalisch. Um immer den richtigen Ton zu treffen, versammeln sich Chormitglieder zu Lehrgängen wie hier vor der Zionskirche in Bethel (Bielefeld) 1931.
Nicht immer ist die Abgrenzung gegenüber anderen Konfessionen gewollt, sondern durch Ausschluss aus anderen Vereinen geradezu erzwungen. In der immer stärker antisemitischen Stimmung der Weimarer Republik finden sich daher vermehrt Jüd_innen in eigenen Vereinen zusammen, die ihrerseits durchaus heterogen sind. So entstehen im Ruhrgebiet z. B. jüdische Arbeiterkulturvereine wie die sozialistisch-zionistische Gruppe "Poale Zion". Einige ihrer Mitglieder aus Hamborn posieren hier bei einem geselligen Fahrradausflug.
Der Schein trügt: Allzu gerne wird das einfache Landleben auf solch gestellten Fotografien verklärt. Sie entstehen, um vorindustrielle Arbeitsweisen zu dokumentieren und auch zu romantisieren. Tatsächlich lebt die Mehrheit der Menschen im Rheinland und in Westfalen noch auf dem Land. Und in hohem Maße arbeiten noch viele Frauen und Männer dort wie Jahrhunderte zuvor gemeinschaftlich auf dem Feld - wenn auch nicht immer noch in Handarbeit, wie hier mit der Sichel bei der Roggenernte 1920 im Siegerland.
Neugierig blicken vier Bäuerinnen und ein kleiner Junge aus dem Siegerland in die Kamera. Mit ihren altmodischen Dreschflegeln bearbeiten sie im Jahr 1920 die eben eingebrachte Roggenernte. Zur selben Zeit gründet sich in Westfalen eine Landfrauenvereinigung, die sich für professionellere Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder einsetzt.
Die Tätigkeit dieses Dortmunder Stahlwerkers um 1930 ist Schwerstarbeit. Noch ohne Sicherheitskleidung müssen die Stahlkocher direkt am rund 1500 °C heißen Metall stehen. Ähnlich wie die Arbeit der Bergleute unter Tage versinnbildlichen auch solche Darstellungen von Stahlarbeitern das meist einseitig gezeichnete Bild vom Ruhrgebiet als "Land der (nur) männlichen Malocher".
Haben viele Kumpel im Kaiserreich noch zehn, zwölf oder mehr Stunden täglich schuften müssen, bringt die Republik 1918 für sie den Achtstundentag. Im Hellen können Bergleute in Dortmund um 1930 den Heimweg antreten. Es bleibt nun endlich mehr Zeit für Freizeit und Sport, aber auch für verstärktes Engagement in Arbeitervereinen oder Weiterbildung am Abend.
Der Fußball entwickelt sich während der Weimarer Republik langsam, aber sicher zum Lieblingssport der Deutschen. Besonders die Arbeiterschaft - wie hier 1930 in Wetter (Ennepe-Ruhr-Kreis) - tritt begeistert gegen den Ball. Die in den 1920er Jahren durchgesetzten Arbeitszeitverkürzungen ermöglichen manch zusätzliche Trainingseinheit. Das Ruhrgebiet wird zur Herzkammer des deutschen Fußballs.
Vor allem im Ruhrgebiet schließen sich kulturaffine Arbeiter_innen zu sogenannten Agitprop-Gruppen zusammen (Agitprop = Agitation und Propaganda). Bissig, streitbar und polemisch nehmen die Laientheater- und Kabarettgruppen die sozialen Missstände der Republik aufs Korn. Dabei geraten die meist der KPD nahestehenden Arbeiter_innen-Ensembles Anfang der 1930er Jahre ins Visier der Polizei und werden schließlich sogar verboten.
Teilnehmer_innen des fünften Reichsjugendtages der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) treffen im August 1928 in Dortmund ein. Rund 800 der Zehntausenden von Delegierten haben sich zuvor beim ersten "Reichsjugendlager" der SAJ im kleinen Örtchen Quelle bei Bielefeld getroffen. Die Stimmung ist prächtig: Für viele Jugendliche sind diese Treffen ein unvergessliches Erlebnis, haben sie doch in vielen Fällen das erste Mal überhaupt die Chance, auf die "Reise" gehen zu können.