Die Gesellschaft der Weimarer Republik bleibt zersplittert – eng umgrenzte Milieus bestimmen das Leben vieler Menschen. Gleichzeitig bieten die neuen Möglichkeiten Aufregendes: der Besuch von Sportveranstaltungen und das Reisen werden erstmals erschwinglich, durch neue Medien können nun (fast) alle mitreden.
Keine andere Epoche der deutschen Geschichte erlebt eine derart vielfältige Medienlandschaft wie die Weimarer Republik. Leitmedien bleiben die Zeitungen, die an jeder Ecke angeboten werden. Dazu kommt nun das Radio, das sich rasant verbreitet und das Lebensgefühl vieler Deutscher revolutioniert. Der Film - der seit Anfang der 1930er Jahre auch sprechen kann - lockt Millionen in die Kinos.
…bleibt in den 1920er Jahren das Setzen von Zeitungsseiten. Im Handsatzraum der Kölnischen Zeitung setzen zahlreiche Mitarbeiter_innen jede Seite per Hand. Neben der Frankfurter Zeitung gehört das Kölner Traditionsblatt zu den bedeutendsten und einflussreichsten Tageszeitungen Deutschlands. In den Jahren der Weimarer Republik erscheinen etwa 3.500 Blätter - einige davon mehrmals am Tag.
Die Weimarer Republik ist auch die goldene Zeit der Illustrierten. In Reportagen vermitteln sie den Menschen erstmals buchstäblich ein Bild von der weiten Welt, von den Reichen und Schönen. Ermöglicht wird der Erfolg durch die bessere technische Reproduzierbarkeit von Fotos, die dadurch immer mehr Raum einnehmen. Ein Beispiel für den neuen erfolgreichen Zeitschriftentyp ist die Illustrierte Kölnische Zeitung, die sich ab 1926 mit einer Auflage von wöchentlich 400.000 Exemplaren etabliert.
Die Zeitungslandschaft in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg ist noch stark parteipolitisch geprägt. Allein die katholische Zentrumspartei publiziert stolze 434 Blätter (davon 134 in Rheinland-Westfalen) mit einer Gesamtauflage von drei Millionen Exemplaren. Die Kölnische Volkszeitung gehört zu ihren wichtigsten Tageszeitungen - hier das Titelblatt einer Sonderausgabe vom 18. April 1927 zum Umzug der Zeitung in das Görreshaus in Köln.
Die in Essen erscheinende konservativ-national ausgerichtete Rheinisch-Westfälische Zeitung gilt als wichtigstes Sprachrohr der westdeutschen Wirtschaft. Als Besitzer und Herausgeber prägt der Journalist Theodor Reismann-Grone (1863-1949), Mitbegründer des antisemitischen Alldeutschen Verbandes, dieses Meinungsblatt. 1930 tritt er der NSDAP bei und wird 1933 für vier Jahre Oberbürgermeister von Essen.
Sie begründet Kölns Ruf als Medienmetropole Deutschlands bis heute: 1928 gastiert in der Domstadt die als "Weltausstellung der Presse" gefeierte Messe PRESSA. Fünf Millionen Besucher_innen kommen binnen sechs Monaten, um sich die Ausstellung zur enormen Vielfalt der Medien anzuschauen. 1.500 Aussteller_innen aus 43 Nationen sind vertreten - selbstverständlich wird die PRESSA auch international beworben - wie hier auf einem Werbeplakat für den französischsprachigen Raum.
Erste Schritte eines neuen Mediums: Der Rundfunk begeistert die Menschen in der Weimarer Republik, bietet er doch ein ganz neues (Mit-) Erleben entfernter Ereignisse. In seinen Anfangsjahren bleibt das Radiohören jedoch eine aufwendige Angelegenheit: Radiowellen können nur durch einen schwer bedienbaren Detektor empfangen werden.
Dennoch startet der Rundfunk seinen Siegeszug: Die Zahl der Haushalte mit Radiogeräten steigt binnen fünf Jahren von 125.000 (1926) auf 807.000 (1931). Die Zahl der Hörer_innen ist jedoch mindestens viermal so hoch, da Radio meist mit der gesamten Familie, mit Freund_innen oder Nachbar_innen gehört wird. Wie diese Dortmunder Familie 1927 versammelt man sich zu den noch wenigen Sendungen vor den Detektorgeräten.
Wie heute ist der Rundfunk auch in seiner Anfangsphase über regionale Sendegesellschaften organisiert. Aufgrund der alliierten Besatzung beginnt das Radiozeitalter im Westen erst relativ spät. Am 10. Oktober 1924 nimmt hier die Westdeutsche Funkstunde AG (WEFAG) zunächst in Münster den Sendebetrieb auf. Jeden Abend beendet der Sender sein Programm mit einem Vierzeiler, der an die besetzten Gebiete gerichtet ist: "Den Rundfunk alle Menschheit hört, / Nur deutschen Brüdern ist er noch verwehrt! / Sie sollen nicht länger entrechtet sein! / Funk frei für die Brüder an Ruhr und Rhein"
Nach dem Abzug der Alliierten verlagert der Rundfunk im Westen seinen Sitz nach Köln. Künstlerischer Leiter der WERAG (Westdeutsche Rundfunk AG), vergleichbar mit einem heutigen Intendanten, wird Ernst Hardt (1876-1945, hier im Jahr 1927). Hardt hat sich zuvor als erfolgreicher Schriftsteller und Theaterintendant einen Namen gemacht; für den Rundfunk inszeniert er erfolgreich Hörspiele.
Der Jubel ist groß, als die britischen Truppen 1926 aus dem besetzten Köln abziehen. Die Westdeutsche Funkstunde berichtet am Vorabend der offiziellen Befreiungsfeier am 31. Januar live aus dem Kölner Dom. Die Feststunde wird mit viel Pathos begangen und ist die erste reichsweite Rundfunkübertragung überhaupt. "Das wollen wir dem Rundfunk nicht vergessen", heißt es im nationalen Überschwang auf dem Plakat.
Für eine Live-Reportage aus dem Kölner Zoo schickt der Westdeutsche Rundfunk 1929 seinen ersten Ü-Wagen. Die Rundfunkchefs scheuen weder Kosten noch Mühen, um mit modernster Technik aktuell zu berichten. Aus der WEFAG entsteht 1926 die Westdeutsche Rundfunk AG mit Sitz in Köln. Über den extrem starken Mittelwellensender Langenberg kann die WEFAG seit 1927 ihre Programme von Köln aus bis in die USA und nach Australien ausstrahlen.
Das Westfalenderby zwischen Preußen Münster und Arminia Bielefeld am 1. November 1925 wird zu einem Meilenstein in der Mediengeschichte: Es ist das erste live im Radio übertragene Fußballspiel überhaupt! Ab 1926 sendet der Westdeutsche Rundfunk bereits neun Stunden täglich, bis 1931 wächst die Sendedauer auf 15 Stunden am Tag. Auf dem Programm stehen vor allem klassische Musik und Bildungsprogramme, zunehmend aber auch Sportübertragungen. Apropos: Das Derby 1925 gewann Bielefeld auswärts klar mit 5:0.
Auch der Film erlebt in der Weimarer Republik seinen großen Durchbruch. Die alliierte Besatzung verhindert jedoch, dass sich in Köln eine ähnlich starke Filmindustrie entwickeln kann wie in der Hauptstadt Berlin. Die wenigen Produktionsfirmen am Rhein beschränken sich bis Ende der 1920er Jahre auf regionale Themen. Unter dem Motto "Wein, Weib und Gesang" werden in eher seichten Produktionen Naturidylle und Frohsinn thematisiert. Dabei entstehen damals so populäre Streifen wie Ein rheinisches Mädchen bei rheinischem Wein (1927) oder Das Rheinlandmädel - Eine Liebeskomödie aus dem Studentenmilieu (1930).
Zwar entstehen die großen deutschen Filmklassiker dieser Zeit andernorts, doch werden Westfalen und Lippe nach 1918 zur Kulisse für Kinofilme. 1924 kommt der Streifen Die Hermannschlacht auf die Leinwand. Der am - vermeintlichen - Originalschauplatz bei Detmold gedrehte Film behandelt die Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 n. Chr. Er verklärt den Cheruskerfürsten Arminius alias Hermann zum Gründungsvater der deutschen Nation.
Deutschlands blühende Filmindustrie und die importierten Kinostreifen aus Hollywood brauchen immer größere Aufführungsstätten. In der Weimarer Republik prunken die Lichtspielhäuser mit großartigen Kinosälen wie zum Beispiel im Kölner Emelka-Theater im Hansahochhaus mit seinen 1.200 Sitzplätzen.
Selbsternannte Jugendschützer_innen stehen dem Siegeszug des Kinos äußerst kritisch gegenüber. Sie fürchten schwerste Schäden für die heranwachsende Generation. Der Volksschullehrer Heinrich Kautz aus der Zechengemeinde Hamborn bei Duisburg wettert 1926 in seinem Buch Im Schatten der Schlote. Versuche zur Seelenkunde der Industriejugend: "Das Kinofieber, die neuzeitliche Seelenmalaria, herrscht am grausigsten in der Industriemenschheit. Sie […] ist an das Kino verraten und verkauft. […] Es ist ja nicht Bildungshunger, Bildungsbedürfnis, was das Industrievolk immer und immer wieder in die dumpfen, dunklen Tempel treibt, sondern nur die Leidenschaft, ja die Wollust des Filmgenusses."
Nicht alle sehen den Film derart kritisch. Lehrer_innen entdecken ihn auch als Medium der Veranschaulichung im Unterricht. Mit der Erfindung des 16mm-Sicherheits-Films – einer wichtigen technischen Innovation – hält der (Lehr-)Film Einzug in die Schulen. Für Nachschub an zeitgemäßen Filmen und Diaserien sorgen öffentliche Bildstellen, so etwa die 1928 gegründete Landesbildstelle Westfalen in Münster.
In Rheinland und Westfalen werden Leichtathletik, Boxen, Radsport, Handball, Reiten und natürlich der Fußball zu Massensportarten. Große Wettkämpfe steigern die Motivation der Aktiven und überall im Land schießen große Hallen und Stadien aus dem Boden. Welchen Sport man ausübt, ist oft noch eine Frage der Milieuverbundenheit. Und auch die Politik weiß den Sport von Anfang an für sich zu nutzen.
Noch ist Deutschland Mitte der 1920er Jahre von den Olympischen Spielen ausgeschlossen. Als eine Art Ersatzveranstaltung finden 1926 die "Deutschen Kampfspiele" im gerade von den Alliierten geräumten Köln statt. Der Name der Veranstaltung ist bewusst doppeldeutig: Nicht nur der Wettkampf, auch der Nationalstolz soll befeiert und befeuert werden.
Dementsprechend ist den Veranstaltern die durch Massenaufmärsche an die Siegermächte vermittelte Botschaft wichtig, dass das deutsche Volk wehrhaft bleibt. Zwar wirkt der Adler, mit dem Köln für die "Kampfspiele" wirbt, nicht allzu überzeugt, dennoch wird die Veranstaltung zu einem großen Publikumserfolg.
so wollte "Turnvater" Jahn seine deutsche Jugend sehen. Friedrich-Ludwig Jahn initiierte die Turnbewegung Anfang des 19. Jahrhunderts nicht zuletzt als Speerspitze gegen die napoleonische Besatzung Preußens. Nun stehen wieder französische Truppen am Rhein. Da passt es wunderbar, dass man sich zu seinem 150. Geburtstag 1928 zum Deutschen Turnfest im "befreiten" Köln versammelt.
Das Turnfest im Sportpark Müngersdorf mit über 300.000 Teilnehmer_innen gerät zum Hochamt nationaler Einheit. Als ein Fest "der Volksfamilie Deutscher Stämme und Landschaft", im "Gleichklang der Herzen und in dem Bekenntnis zu Deutschland" preist es der Kölner Politiker Heinrich Billstein. Das Layout der Festzeitung mit einem nach Westen blickenden blonden Jüngling wirkt so fast wie eine Illustration zum alten Kampflied Die Wacht am Rhein.
Überall im heutigen NRW schießen in den 1920er Jahren Sportstadien wie Pilze aus dem Boden. Publikumsmagnet Nummer eins wird bald der Fußball, für den die größten Arenen genutzt werden (wie hier im Jahr 1926 eingeweihten Stadion Rote Erde in Dortmund). Im Rheinland leisten sich Köln, Düsseldorf, Koblenz, Mönchengladbach, Essen und Solingen großzügige Stadien für ihre (mehr oder weniger) erfolgreichen Vereine.
Zum Ausbau des Ligabetriebs gehört auch der Bau von Stadien. Zahlreiche Stadien, wie etwa in Düsseldorf, Köln, Koblenz, Trier und Solingen werden in den 1920er Jahren geplant und vollendet. Das Rheinstadion in Düsseldorf wird in den Jahren 1925/26 eröffnet.
Die Hackordnung zwischen Schalke und Dortmund in der Weimarer Republik ist noch eindeutig: Alle fünf Revierderbys in dieser Zeit gehen an die Königsblauen. Auch Länderspiele finden erstmals im "Pott" statt: 1922 empfängt Deutschland das Team aus Ungarn im Stadion des TuS Bochum an der Castroper Straße (im Bild, heute Ruhrstadion) - das Spiel endet torlos.
Gummersbach, Minden, Lemgo - bis heute sind diese kleinen Orte Hochburgen des Handballs. Im Gegensatz zum großstädtischen Fußball formieren sich die Handballer_innen in den 1920er Jahren eher in der Provinz Ostwestfalens und dem Bergischen Land. Der aus Mülheim a. d. Ruhr stammende Hans Keiter (Bild) krönt seine Karriere 1936 mit dem Sieg seiner Mannschaft bei den Olympischen Spielen in Berlin.
Eher bodenständig geht es auch beim Boxen zu: Mit dem SC Colonia 06 mausert sich Köln in den 1920er Jahren zu einem Zentrum dieses Sports. 1927 gewinnen die drei Kölner Franz Dübbers, Jakob Domgörgen und Hein Müller in ihren Gewichtsklassen die Europameisterschaft in Berlin. In Anlehnung an den Karneval nennen die Kölner das Trio mit den fliegenden Fäusten fortan nur noch "Dreigestirn".
Auch der Radsport reißt in den 1920er Jahren die Kölner aus den Sitzen. 1928 wird in der Rheinlandhalle in Köln-Ehrenfeld erstmals das Sechstagerennen ausgetragen. Mit Gottfried Hürtgen und Viktor Rausch gewinnen bei der Premiere gleich zwei echte "Kölsche". Erst 1998 endet nach 46 Ausgaben die Tradition der Kölner Sechstagerennen.
Während Fußball, Handball, Radsport und Boxen bei Arbeiter_innen und Angestellten erste Wahl sind, haben Sportler_innen aus dem Bürgertum häufig andere Vorlieben. Feldhockey gilt etwa als klassischer Sport der Mittelschicht (hier die Mannschaft des Essener Turn- und Fechtclub e. V., ETuF). Segeln, Reiten, Tennis, Rudern, Motorsport und Golf wiederum sind typische Disziplinen der Oberschicht, die nur wenigen Begüterten vorbehalten sind.
Spiel, Satz, und Sieg für Cilly Aussem (links): Die Kölnerin gewinnt 1931 als erste Deutsche das Tennisturnier von Wimbledon. Erste Gratulantin nach ihrem Zweitsatzsieg ist ihre Finalgegnerin Hilde Krahwinkel aus Essen. Bis heute ist es das einzige rein deutsche Finale zweier Tennisdamen in Wimbledon. Erst 60 Jahre später gelingt Michael Stich und Boris Becker bei den Herren das gleiche Kunststück.
Ein gutes Pferd springt nur so gut, wie es muss - das beweisen die beiden Reiter_innen beim Gruppenspringen des CHIO 1926 in Aachen. Zwei Jahre zuvor fand in der Stadt im Dreiländereck erstmals der Concours Hippique International Officiel statt, mit Wettbewerben in den Disziplinen Springen, Dressur und Fahren. Erstmals wird der früher elitäre Adelssport zum Massenspektakel mit Tausenden Zuschauer_innen.
Schließlich boomt in den Weimarer Jahren auch der Motorsport: Eine "Gebirgs-, Renn- und Prüfungsstrecke" nach modernsten Maßstäben entsteht 1927 im Schatten der Nürburg in der Eifel. ADAC und preußische Behörden wollen damit der schon damals strukturschwachen Region unter die Arme greifen. An der Strukturschwäche hat sich bis heute nicht viel geändert - der Nürburgring wurde derweil zum Mythos.
Viel stärker noch als heute sind die Menschen zur Zeit der Weimarer Republik in ihrer sozialen und religiösen Herkunft verankert. Ob katholisch oder evangelisch, kommunistisch oder reaktionär, Kohlekumpel oder Beamter, Lehrerin oder Hausangestellte, Menschen in Städten oder auf dem Land - jedefrau und jedermann wird in ein spezielles soziales Milieu geboren, das den eigenen Lebensweg meist entscheidend beeinflusst. Weltanschauung, Wahlverhalten, Ausbildung und selbst die Partnerwahl orientieren sich häufig an deren Wertvorstellungen. Und jede dieser Milieukulturen bildet ihre eigenständigen Formen aus, die das Leben der Menschen von der Geburt bis zum Tod prägen.
Buchstäblich ein schweres Kreuz zu tragen hat dieser Jesus-Darsteller bei der Karfreitagsprozession im Städtchen Menden (Sauerland) im Jahr 1920. In aufwendigen Inszenierungen zelebrieren Katholik_innen an hohen Feiertagen wie Fronleichnam, Allerheiligen oder eben Karfreitag ihren Glauben. Wie es dem Kreuzträger nach den 14 Stationen seines Passionsweges ging, ist nicht überliefert, doch hatte er über Ostern wohl zumindest Rückenschmerzen.
Die Arme verschränkt, mit stolzgeschwellter Brust, den Torwart eingerahmt: So präsentiert sich die Jugendmannschaft aus Raesfeld (Münsterland) um 1930 dem Fotografen. Organisiert ist die Mannschaft im 1920 gegründeten katholischen Sportverband Deutsche Jugendkraft (DJK), einer Gegengründung zum sozialistischen Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB). Protestant_innen, Jüd_innen und Atheist_innen haben in dieser Elf keinen Platz.
Mächtig Gehör verschaffen sich während der 1920er Jahre auch die Protestant_innen. In Ostwestfalen und dem Siegerland entwickelt sich bereits seit dem 19. Jahrhundert die evangelische Gemeinschaft der "Erweckten". Ihr Ziel ist eine auf die Bibel bezogene Rückkehr zu den gelebten Wurzeln des christlichen Glaubens. Mit allzeit einsatzbereiten Posaunenchören wirbt die Erweckungsbewegung für ihre Veranstaltungen und begleitet diese musikalisch. Um immer den richtigen Ton zu treffen, versammeln sich Chormitglieder zu Lehrgängen wie hier vor der Zionskirche in Bethel (Bielefeld) 1931.
Nicht immer ist die Abgrenzung gegenüber anderen Konfessionen gewollt, sondern durch Ausschluss aus anderen Vereinen geradezu erzwungen. In der immer stärker antisemitischen Stimmung der Weimarer Republik finden sich daher vermehrt Jüd_innen in eigenen Vereinen zusammen, die ihrerseits durchaus heterogen sind. So entstehen im Ruhrgebiet z. B. jüdische Arbeiterkulturvereine wie die sozialistisch-zionistische Gruppe "Poale Zion". Einige ihrer Mitglieder aus Hamborn posieren hier bei einem geselligen Fahrradausflug.
Der Schein trügt: Allzu gerne wird das einfache Landleben auf solch gestellten Fotografien verklärt. Sie entstehen, um vorindustrielle Arbeitsweisen zu dokumentieren und auch zu romantisieren. Tatsächlich lebt die Mehrheit der Menschen im Rheinland und in Westfalen noch auf dem Land. Und in hohem Maße arbeiten noch viele Frauen und Männer dort wie Jahrhunderte zuvor gemeinschaftlich auf dem Feld - wenn auch nicht immer noch in Handarbeit, wie hier mit der Sichel bei der Roggenernte 1920 im Siegerland.
Neugierig blicken vier Bäuerinnen und ein kleiner Junge aus dem Siegerland in die Kamera. Mit ihren altmodischen Dreschflegeln bearbeiten sie im Jahr 1920 die eben eingebrachte Roggenernte. Zur selben Zeit gründet sich in Westfalen eine Landfrauenvereinigung, die sich für professionellere Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder einsetzt.
Die Tätigkeit dieses Dortmunder Stahlwerkers um 1930 ist Schwerstarbeit. Noch ohne Sicherheitskleidung müssen die Stahlkocher direkt am rund 1500 °C heißen Metall stehen. Ähnlich wie die Arbeit der Bergleute unter Tage versinnbildlichen auch solche Darstellungen von Stahlarbeitern das meist einseitig gezeichnete Bild vom Ruhrgebiet als "Land der (nur) männlichen Malocher".
Haben viele Kumpel im Kaiserreich noch zehn, zwölf oder mehr Stunden täglich schuften müssen, bringt die Republik 1918 für sie den Achtstundentag. Im Hellen können Bergleute in Dortmund um 1930 den Heimweg antreten. Es bleibt nun endlich mehr Zeit für Freizeit und Sport, aber auch für verstärktes Engagement in Arbeitervereinen oder Weiterbildung am Abend.
Der Fußball entwickelt sich während der Weimarer Republik langsam, aber sicher zum Lieblingssport der Deutschen. Besonders die Arbeiterschaft - wie hier 1930 in Wetter (Ennepe-Ruhr-Kreis) - tritt begeistert gegen den Ball. Die in den 1920er Jahren durchgesetzten Arbeitszeitverkürzungen ermöglichen manch zusätzliche Trainingseinheit. Das Ruhrgebiet wird zur Herzkammer des deutschen Fußballs.
Vor allem im Ruhrgebiet schließen sich kulturaffine Arbeiter_innen zu sogenannten Agitprop-Gruppen zusammen (Agitprop = Agitation und Propaganda). Bissig, streitbar und polemisch nehmen die Laientheater- und Kabarettgruppen die sozialen Missstände der Republik aufs Korn. Dabei geraten die meist der KPD nahestehenden Arbeiter_innen-Ensembles Anfang der 1930er Jahre ins Visier der Polizei und werden schließlich sogar verboten.
Teilnehmer_innen des fünften Reichsjugendtages der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) treffen im August 1928 in Dortmund ein. Rund 800 der Zehntausenden von Delegierten haben sich zuvor beim ersten "Reichsjugendlager" der SAJ im kleinen Örtchen Quelle bei Bielefeld getroffen. Die Stimmung ist prächtig: Für viele Jugendliche sind diese Treffen ein unvergessliches Erlebnis, haben sie doch in vielen Fällen das erste Mal überhaupt die Chance, auf die "Reise" gehen zu können.
Die Republik macht’s möglich: Erstmals kommen die arbeitenden Menschen vermehrt in den Genuss von zumindest einigen wenigen bezahlten Urlaubstagen. Große Sprünge können sich die von Krieg und Inflation verarmten Deutschen zwar nicht leisten, doch auch in der Heimat gibt es schöne Ecken, wie am Rhein und im Sauerland, die mit ihren Attraktionen werben. Die noch junge Tourismusbranche erlebt ihren ersten Boom.
Urlaub vor der eigenen Haustür verspricht das Luft- und Sonnenbad in Hombruch-Kirchhörde (Landkreis Hörde, heute im Süden Dortmunds gelegen). Die neue Lust auf Sonne und eine gesunde Bräune bringt auch eine freizügigere Bademode mit sich.
Zum Gruppenbild - mit nur einer Dame - formiert sich diese Sängergruppe aus Hamm um 1924 (auf Burg Altena, der ersten Jugendherberge der Welt). Die Vorteile von Gruppenreisen, häufig im Kreise von Vereinskamerad_innen, liegen auf der Hand: Neben der Geselligkeit sind sie deutlich günstiger als Individualreisen.
Ausflügler_innen posieren 1924 vor der Möhnetalsperre bei Soest. Mit ihrer 40 Meter hohen und 650 Meter langen Staumauer ist das 1913 eingeweihte Bauwerk ein beliebtes wie imposantes Ziel. Während des Zweiten Weltkriegs greifen im Mai 1943 britische Flugzeuge die Talsperre an und lösen damit eine Flutwelle aus, die mehr als 1.200 Menschen das Leben kostet.
Last minute auf die Malediven, nach Bali oder in die Dominikanische Republik? All dies liegt in der Weimarer Republik außerhalb jeder Vorstellungskraft. In den 1920er Jahren will (und kann) man in der Regel eher bodenständiger verreisen. Darum werben auch Regionen wie das Münsterland mit aufwendig produzierten Broschüren für sich - immerhin versprechen die zum Teil gut betuchten Besucher_innen neue ungeahnte Einnahmequellen.
Auch Städte, deren Attraktivität oder gar Existenz heute gerne bestritten werden, werben eifrig in eigener Sache. "Bielefeld am Teutoburgerwald" schaltet großzügige Anzeigen, in denen die landschaftlichen Reize der Stadt und des Umlands angepriesen werden. Der städtische Omnibusbetrieb bietet Sonderwagen für alle Lebenslagen an: "für Hochzeiten, Beerdigungen, Schul- und Vereinsausflüge jederzeit".
Fast wirkt es so, als müsse jeden Augenblick Peter Lustig aus dem Wohnwagen heraustreten. Doch handelt es sich hier um den Wohnwagen einer Familie, die damit an der Ems bei Greven (Westfalen) campte. Naherholung durch Camping lag auch 1932 schon im Trend. Ein umgebauter Bauwagen dient hier als Caravan.
Diese Bilder stammen aus Schirrmanns Album, entstanden an Pfingsten 1932 bei einer Fahrt nach Ostpreußen. Seine Idee der Jugendherberge wird derweil ein Welterfolg: Heute gibt es in 90 Ländern über 4.000 Herbergen, allein in Deutschland sind es rund 460, die unter anderem eine günstige Form des Reisens ermöglicht.
Das Reisen per Luftschiff - hier die Graf Zeppelin 1930 über Münster - wird in der Weimarer Republik zum Inbegriff des Fortschritts. Die exklusiven Fernreisen kann sich freilich nur ein Bruchteil der Bevölkerung leisten - für den großen Rest bleibt immerhin die kostenlose Attraktion am Himmel. 1929 schafft der fast lautlose Riese sogar eine Weltumrundung: fast 50.000 km in 35 Tagen. 1937 endet die Ära der „fliegenden Zigarren“ abrupt mit der Brandkatastrophe des Luftschiffs „Hindenburg“.
Mondänen Luxus bietet das Reisen an Bord der Graf Zeppelin: 10.000 Reichsmark kostet allein die "Weltfahrt" über New York, Los Angeles und Tokio. Geliefert wird dafür ein tadelloser Service, wie der Blick in den Speisesalon zeigt. Auf maximal 25 Gäste kommen fast doppelt so viele Besatzungsmitglieder!