Kaum ein Wort in der deutschen Sprache lässt sich so schwer in eine andere übersetzen wie "Heimat". Und kaum ein Begriff ist bis heute so unscharf definiert. In der Weimarer Republik sehnen sich viele Deutsche angesichts der vielen Veränderungen und der Infragestellung alter Gewissheiten nach einem vertrauten Ort, den sie Heimat nennen. Durch die rasant wachsenden Großstädte und die scheinbar alles verschlingenden Industrielandschaften empfinden viele ihre vertraute Umwelt als ein schützenswertes Gut. Als Reaktion darauf erleben vor allem in Westfalen Heimatvereine eine ungeahnte Blüte und 60 Jahre vor Gründung der "Grünen" hat die Naturschutzbewegung eine erste Geburtsstunde.
Angst machen den Heimatschützer_innen die enormen Umwälzungen der Zeit. Vereine gründen sich, die mit der Rückbesinnung auf Natur und Heimat ein vermeintliches Heilmittel gegen die "Auswüchse" der Moderne bereithalten. Zu ihnen gehört auch der Orts- und Heimatkunde-Verein Oberhausen-Osterfeld, hier mit dem Recklinghäuser Heimatfotografen Dr. Joseph Schäfer (vorne) im Juni 1920.
Krieg, Inflation und wirtschaftliche Not, aber auch die Zumutungen der modernen Großstädte betrachten die Verfechter heimatlicher Traditionen mit größter Skepsis. Viele Menschen aus den verrußten Städten des Ruhrgebiets zieht es ohnehin für Sonntagsausflüge in die umliegende Natur.
Der Abgrenzung zur Großstadt dienen auch das eigene Häuschen im Grünen oder eine Laube im (Schreber-)Garten. Gerade für Bergarbeiterfamilien aus dem Ruhrgebiet ist ihr Obst- und Gemüseertrag ein wichtiger Zuerwerb, aber auch ein erholsamer Feierabend lässt sich hier genießen.
Unbehagen an der Moderne und Verklärung der Vergangenheit - beides geht schon damals Hand in Hand. Überall im Land entstehen Heimatmuseen, in denen die Errungenschaften "deutscher Kultur" - in der Praxis meist Volkskunst und Folklore - gezeigt werden. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist das sogenannte Hexenbürgermeisterhaus in Lemgo (Kreis Lippe) aus dem 16. Jahrhundert, das ab 1926 das örtliche Heimatmuseum beherbergt. Dass die darin gezeigte Vergangenheit nicht immer glänzte, beweist schon sein Name. Er erinnert an die im 16. und 17. Jahrhundert stattgefundene Hexenverfolgung in Lemgo.
Auch den Kampf gegen die "Verschandelung" der Dörfer durch die Auswüchse einer "Reklamepest" haben sich die Heimatschützer_innen auf die Fahnen geschrieben. Für Anhänger_innen der Heimatbewegung mehr als ein Ärgernis: Reklametafeln an einer Hausfassade in Sande bei Paderborn.
Heimatschutz bedeutet vielerorts aber auch Naturschutz. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg planen die Rheinisch-Westfälischen Kalkwerke den Abbau der Felsen des malerischen Hönnetals im Sauerland. Als die Pläne nach dem Krieg wieder aus der Schublade gezogen werden, formiert sich dagegen 1920 erfolgreicher Widerstand, das Gelände wird schließlich Naturschutzgebiet.
An die womöglich erste Naturschutzaktion Deutschlands erinnert noch heute diese Gedenktafel im Hönnetal. Die Inschrift verbindet eine romantisierende Sicht auf die westfälische Natur mit den angeblichen Tugenden der Westfäl_innen.
Als die preußische Regierung Mitte der 1920er Jahre zusammen mit dem ADAC Pläne für eine Rennstrecke in der Eifel vorstellt, protestieren auch hier einheimische Naturschützer_innen energisch dagegen. Die Naturfreunde fürchten "eine gröbliche Verunstaltung des Eifeler Landschaftsbilds".
Doch gegen den Bau des Nürburgrings können sich die Naturschützer_innen nicht durchsetzen: Im Juni 1927 wird die gezielt für die strukturschwache Region Eifel geplante Rennstrecke feierlich eröffnet. Statt der Natur entwickelt sich jetzt die legendäre Nordschleife zum Mythos.
Vollen Einsatz zeigt der Vogelkundler und Naturschutzpionier Dr. Hermann Reichling beim Fotografieren eines Milanhorstes im Juni 1929. Als ein Naturschützer der ersten Stunde setzt sich Reichling für den Erhalt seltener Tiere und Pflanzen ein.
Als Direktor des Provinzialmuseums für Naturkunde in Münster arbeitet Reichling von 1921 bis 1933 unermüdlich für den Naturschutz. Die bei seiner Arbeit entstandene Fotosammlung - hier eine Aufnahme zweier junger Waldkäuze - ist heute ein bemerkenswertes Zeitdokument.
Reichling - hier 1925 als Jäger mit einem Jagduhu - gerät unter der NS-Diktatur wegen kritischer Äußerungen über die Regierung ins Visier der Machthaber. Im Jahr 1933 wird er aus dem Dienst entlassen und 1934 kurzzeitig im Konzentrationslager Esterwegen inhaftiert. Nach Kriegsende rehabilitiert, stirbt er 1948 58-jährig an den Spätfolgen der KZ-Haft.